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Ein Plädoyer für Solidarität und Miteinander oder: Warum wir eigentlich nicht überrascht sein sollten vom Hass und der Ablehnung gegenüber den Geflüchteten in unserer Gesellschaft

Diese Woche habe ich wieder mal nachgedacht, über all die Ablehnung und den Haß, der Geflüchteten hier in Deutschland leider auch entgegenschlägt. Ich bin überrascht davon, in welchem Ausmaß Hass und Ablehnung zutage treten und habe in den letzten Monaten häufig auch von anderen gehört, dass es ihnen ähnlich geht. Ich bin, wie viele andere auch, entsetzt darüber, was da zutage kommt und eben nicht nur beim Klischee-bedienenden Neo-Nazi, sondern auch bei der doch eigentlich so netten Nachbarin, dem im feinen Anzug steckenden Arbeitskollegen oder der bienenfleißigen Verkäuferin im Laden.

Jedenfalls stellte ich fest:

© Liisa

Oder nehmen wir die Tatsache, dass Politiker und andere schon lange versuchen, bestimmte Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzubringen und auszuspielen, je näher Wahlen rücken, desto mehr. Und das leider immer wieder mit Erfolg. Vorzugsweise natürlich diejenigen, die sich gerade in einer »schwachen Position« befinden. Mal sind es »die Harz IV-Empfänger«, mal »die Ausländer«, mal »alleinerziehende Mütter« oder wer auch immer. Irgendwer muss »schuld sein«.

Das ist das Vorbild, das das Volk vor Augen hat und leider allzu gern übernimmt. Die Geflüchteten sind gerade mit in der schwächsten Position, und da entscheiden sich nun leider nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung, sie als Sündenböcke für alles herzunehmen.

Ich finde keinen Job? Klar, das liegt an den Geflüchteten, die nehmen uns jetzt die Arbeit weg oder wenigstens in absehbarer Zeit. Ich finde, ich habe zu wenig Geld in der Tasche? Klar, der Staat unterstützt mich nicht genug, der wirft ja alles den Geflüchteten in den Rachen. Ich ärgere mich, dass der öffentliche Nahverkehr miserabel ist. Ach, aber wegen der Geflüchteten wird eine neue Buslinie eingerichtet, damit die aus ihrer etwas entlegen gelegenen Sammelunterkunft wenigstens ab und an mal in die nächstgelegene Kleinstadt kommen. Um die Geflüchteten wird sich jetzt gekümmert, aber was ist mit unseren Alten? Um die hat sich ja auch keiner gekümmert. So geht es in einem fort. Schuld daran sind nicht die Politiker oder gar wir selbst. Nein, Schuld sind die Geflüchteten. Was wollen die hier? Die sollen gefälligst bleiben wo sie hergekommen sind, wahlweise wo der Pfeffer wächst!

Solidarität ist in Deutschland an vielen Stellen längst auf der Strecke geblieben. Wir sind mit uns selbst häufig genug nicht mehr solidarisch. Fast jeder kämpft und wettbewerbt um seinen eigenen vermeintlichen kleinen Vorteil. Fast jeder sieht zu, wie er seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringt und wenn es irgendwie geht noch Schäfchen dazugewinnt.

Die, die immer noch gegen den Strom schwimmen, die Solidarität üben, die auch mal zurückstehen oder auf etwas verzichten, damit andere auch noch atmen und leben können, werden mit einer Mischung aus Bewunderung und Kopfschütteln, und hier und da inzwischen sogar Hass, betrachtet. Dann fallen gerne Begriffe wie Spinner, Gutmenschen, Naivlinge, etc. Und diese »Irren« (mancherorts inzwischen auch schon als »Volksverräter« Bezeichneten) kümmern sich jetzt um die Geflüchteten.

Was passiert? Volkes Zorn richtet sich immer öfter auf genau diese. Das ist schwer mit anzusehen und schwer auszuhalten. Es tun sich Gräben auf, die durch Familien, Freundes- und Kollegenkreise gehen aber auch durch Kirchgemeinden, durch Dörfer und Städte.*

Traurig ist das, aber wenn man es genau überlegt, neu und überraschend ist das alles gar nicht. Wir ernten, was über Jahrzehnte gesät worden ist. Politiker, die jetzt (plötzlich) zur Solidarität aufrufen, vorher und immer noch aber gerne Bevölkerungsgruppen aufeinanderhetzen, sind nicht sonderlich überzeugend. Eine Gesellschaft, die sich im ständigen Wettbewerb befindet und dazu von allen Seiten auch angehalten wird (»mein Haus, mein Auto, mein Pferd«; »Wer ist der Dünnste/Gesündeste im ganzen Land?«; etc), schaltet nicht in nullkommanix um auf Solidarität, von Gegeneinander auf Miteinander. Solidarität und Miteinander fallen einem nämlich nicht in den Schoß. Beides muss eingeübt und erlebt werden.

* Ja, es bilden sich auch neue Gemeinschaften, im Positiven wie im Negativen. Mir kommt es manchmal vor, als hätte jemand die komplette Bevölkerung in eine große Trommel gesteckt und einmal kräftig durchgeschleudert, dann alle ausgekippt und jetzt bilden sich neue Verbindungen, Gruppierungen und Gemeinschaften. Das ist ein schmerzhafter Prozess, in dem viele inzwischen stecken. Und auch das wird natürlich wieder den Geflüchteten zum Vorwurf gemacht. Sie haben unsere kleinen heilen Welten durcheinander gebracht, wo wir es uns so schön gemütlich gemacht hatten (viele haben völlig vergessen, dass ihre kleine Welt auch vorher alles andere als heil und in Ordnung war und dass sie auch vorher viel zu meckern hatten. Nur die Sündenböcke waren eben andere).

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