Privates ·Tagesprosa

Tagesprosa

Morgens um sechs ist die Welt noch in Ordnung entlädt sich ein Gewitter, dem schnell die eigene Traute ausgeht. Mit Mühe hat es ein wenig gedonnert, dann wandelt es sich verlegen in einen Landregen. Gerade und sanft fällt der Regen, bevor auch er verschämt das Feld räumt. Die Sonne brütet über Land, Vieh und Menschen.

Jetzt ist die Zeit der riesigen Mähmaschinen und der Transporter mit Überbreite, die die Mähmaschinen von Feld zu Feld transportieren und die Touristen zu nervösen Ausweichmanövern bringen. Bis weit nach Mitternacht liegt das Dröhnen der Mähmaschinen über der Landschaft. Jetzt ist nicht die Zeit zu ruhen. Jetzt muss die Getreideernte eingebracht werden. Die Felder sind riesig und immer halten alle die Luft an und hoffen, dass es nicht zu Feldbränden kommt. Ein Funke genügt und die Mühe und Arbeit vieler Monate samt der erhofften Ernte ist dahin. Die Felder hier sind voller Steine. Die großen Steine werden jedes Jahr im Frühjahr von den Feldern gesammelt. Aber die kleinen Steinen sind schlicht zu viele und bleiben liegen. So ein kleiner Stein kann viel Unheil anrichten. Wird er beim Mähen hochgeschleudert und trifft die Karosserie der Mähmaschinen, schlägt es im ungünstigsten Fall Funken und so trocken wie alles ist, helfen meist alle Löschversuche nicht mehr.

Auch der Mais ist in den letzen Tagen mächtig in die Höhe geschossen aber noch ist er nicht bereit für die Ernte. Das Getreide geht vor. Die goldenen Getreidemeere, die vor kurzem noch so schön im Wind wogten und besonders in der Nachmittags- und Abendsonne einen goldenen Schimmer über das Land warfen, sind fast verschwunden.

In jedem Spätsommer gibt es diesen einen Moment, in dem man plötzlich von der Ahnung befallen wird, dass der Herbst naht. Subtile Zeichen, die man nicht einmal konkret benennen könnte, aber unabweislich, unleugbar. Die Farben in der Landschaft, das Flirren der Luft, der Geruch, etwas ist plötzlich anders. Nur minimal aber anders. Plötzlich weiß man, der Herbst kommt, der Sommer ist fast vorüber und so etwas wie Traurigkeit streift einen wie ein Vogelflügel, bevor man sich noch einmal mit wilder Verzweiflung dem späten Sommer an die Brust wirft und dabei bemerkt, wie er von Tag zu Tag schwächer wird. Aber noch, noch wollen wir ihn nicht ziehen lassen. Das Wissen um den bevorstehenden Abschied, macht die letzten Sommertage um so kostbarer und verlockender.

Jetzt ist auch die Zeit, in der ich jedes Mal ganz bezaubert bin, wenn ich auf die Straße nach B. einbiege. Sie ist gesäumt von Ebereschen, deren Zweige und Äste fast die Menge der orange leuchtenden Beeren nicht mehr tragen können. Ein Festmahl für alle möglichen Vögel und sogar Fuchs und Dachs tun sich gütlich daran. Und auch die ersten Kraniche sammeln sich schon auf den abgeernteten Feldern. Nach und nach werden es immer mehr werden und ihre Rufe immer lauter und dringlicher durch die Luft hallen.

Die Wehmut zupft und zieht an meinem Herzen. Ich versuche sie, so lange es geht, zu ignorieren. Ich leugne, was ich fühle und sehe. Lieber suche ich aufgeregt nach den Spuren des Sommers, jage ihm nach und wenn ich ihn hinter ein paar Bäumen, auf einem Feld oder am Rande eines Sees entdecke, verbringen wir noch ein paar sonnentrunkene Stunden, jauchzen laut und tanzen einen Reigen nach dem anderen. Bloß nicht nachlassen, sonst könnte der Sommer bemerken, wie müde er schon geworden ist. Wie die Kinder schmeicheln wir dem Sommer und betteln ‘Ach nein, lieber Sommer, bleib noch ein wenig, nur ein wenig!’ Bloß nicht aufhören zu tanzen, sonst nutzt der müde Sommer den Moment und schleicht sich fast unbemerkt davon, um sich irgendwo - wo weiß keiner so genau - zum Schlafen niederzulegen.

4 Gedanken zu „Tagesprosa

  1. Zauberhaft schön geschrieben, poetisch (nicht prosaisch) ;-) Noch habe ich diesen Hauch nicht verspürt und ich würde es auch gerne noch etwas hinausschieben und den Sommer genießen. Aber ich weiß, die Tage sind gezählt …

  2. Der Sommer will sich zum Spätsommer schleichen - die Tage sind schon merklich kürzer …

    Du hast einen ganz wunderbaren, eigenen Stil.

    Bis morgen, oder übermorgen, oder …

    Liebe Grüße - Monika mit Bente

  3. @ Monika (mit Bente) - ich freu mich sehr, dass Du nicht nur hier vorbeigeschaut hast, sondern Dir sogar die Zeit genommen hast, einen Kommentar zu schreiben und dann noch so einen freundlichen! :) Vielen Dank! Ich freue mich sehr, wenn Du wieder vorbeischaust!

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