Nachdenkliches ·Politik

Die Mär von der Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit, dafür machen sich viele stark, vor allem wenn sie sich in der Gruppe befinden, die die Mehrheit hat. Minderheiten kann man ja kaltstellen, übertönen und notfalls niederschreien und wenn das alles nichts mehr hilft und man schlicht nicht hören (oder sehen) will, was sie zu sagen haben, dann macht man sie - wie auch immer - mundtot.

Gemessen wird auch in diesem Land offenbar mit zweierlei Maß. Da wird eine Studentin dieser Tage tatsätzlich zu 300 Euro Strafe verurteilt, weil sie sich spontan mit ein paar Freunden und einer Israelflagge an den Rand einer anti-israelischen Demonstration gestellt hat. Das war »Provokation« genug um die Staatsmacht in Uniform aktiv werden zu lassen und die Studentin bis vor das Gericht zu bringen. Das Gericht warf ihr vor, gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben, weil sie ihre »Demo« nicht angemeldet und damit »für eine nicht ungefährliche Situation gesorgt habe«.

Ich frage, wo ist da bitte das Recht der freien Meinungsäußerung? Es gehört die vielbeschworene Zivilcourage dazu, seine Meinung in eine solchen Situation zu äußern aber Zivilcourage ist auch da nicht wirklich gefragt bzw. wird offensichtlich bestraft.

Neo-Nazis dürfen in diesem Land in immer größerer Anzahl demonstrieren, selbst wenn das heißt dass es zu Ausschreitungen kommt - und zwar mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit, die es (angeblich?!) unmöglich macht, solche Demonstrationen zu verbieten. Wenn solche Gruppierungen also demonstrieren und teilweise in der Folge ganze Innenstädte verwüstet und die Anwohner entlang der Demonstrationsstrecke in Angst und Schrecken leben und damit rechnen müssen, wenn sie z.B. eine Israelfahne aus ihrem Fenster hängen lassen, um ihrer Meinung Ausdruck zu geben, gleich ein mobiles Einsatzteam die eigene Wohnung stürmen zu sehen um das provokante Stück (gemeint ist die israelische Fahne) zu entfernen (so geschehen am Rande einer Anti-Israel-Demonstration in Duisburg!), warum darf dann ein Bürger nicht still am Rand einer Demonstration stehen und eine Flagge zeigen ohne gleich vor das Gericht gezerrt und dort verurteilt zu werden? Ich bin jedenfalls froh, dass die Studentin sich entschieden hat in Revision zu gehen und werde mit Spannung verfolgen, wie die nächsthöhere Instanz urteilen wird.

Interessant und erschreckend sind übrigens auch die Reaktionen, die teilweise (und übrigens auch ziemlich unwidersprochen!) auf Einträge zum Fall im Internet auftauchen. Die 30jährige Sozialwissenschaftsstudentin wird als »geistesgestörter Gutmensch« verunglimpft und z.B. als »irregeleitete Dauerstudentin« (ich kenne die Studentin nicht aber könnte es nicht auch sein, dass sie erst später ein Studium aufgenommen hat und darum wie es an anderer Stelle hieß eine »schon angejahrte Studentin« ist?) verleumdet. Da heißt es dann z.B. »Es gibt Gestalten, von denen braucht man kein Foto gesehen zu haben, um zu wissen, mit was man es zu tun hat.« So ergeht es einem in diesem ach so toleranten Land, wenn man seine Meinung äußert und nicht zur gerade vorherrschenden Meinungsmehrheit gehört?!

4 Gedanken zu „Die Mär von der Meinungsfreiheit

  1. Was für ein absolutes Horror-Urteil! Da kann man nur hoffen, dass die Revision erfolgreich ist.
    Dies erinnert mich von der offensichtlichen Ungerechtigkeit und Unverhältnismäßigkeit her an die beiden Urteile, die in den 60er Jahren im Fall der Denunziation eines Nazi-Gegners im zweiten Weltkrieg gefällt wurden. Die Putzfrau, die den Studenten denunziert hatte, erhielt eine Strafe, weil sie hätte wissen müssen, dass eine Denunziation für den Studenten unter dem Nazi-Regime mit einem grausamen Unrechts-Urteil ändern würde.
    Der Richter dagegen, der das Todesurteil gesprochen hatt, eine offensichtliche Rechtsbeugung, wurde frei gesprochen, denn für ihn war es nicht absehbar, dass er mit seinem Urteil gegen grundlegende Rechtsnormen verstieß.
    Es ist wirklich unerhört, dass das Zeigen der israelischen Fahne alleine als Provokation ausgelegt werden kann. Da fragt man sich schon, wes Geistes Kind sowohl diejenigen sind, die da eingeschritten sind, als auch die, die solche Urteile dann sprechen…

  2. Ãœbrigens: oben am Ende des zweiten Absatzes wollte ich eigentlich ‘enden’ schreiben und nicht ‘ändern’.

    Ich frage mich noch nachträglich, ob ich auch verhaftet werden würde, wenn ich mich mit einem Schild gegen Rassenhass oder für echte Demokratie an den Straßenrand bei einer NPD-Demo stellen würde, weil das eine Provokation wäre.

  3. Hallo Anne! Danke für Deine beiden Kommentare und Überlegungen zu diesem Thema. Die Frage, die Du Dir stellst, habe ich mir auch gestellt. Keine Ahnung, was passieren würde aber vermutlich wäre die Wahrscheinlichkeit, dass Du tatsächlich verhaftet oder zumindest des Ortes verwiesen werden würdest, recht hoch.

  4. Ja, das fürchte ich auch. Mir geht immer öfter durch den Kopf: Wehret den Anfängen. Nur, dass von Anfängen zu reden wohl schon längst obsolet ist.

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