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Vom Balancieren und Stürzen und der schrecklichen Sprachlosigkeit

Das neue Jahr ist da.

Ich frage mich, was wird es uns allen bringen? Das fragt man sich natürlich jedes Jahr aufs Neue, und am Ende bleibt doch nichts anderes, als einfach abzuwarten, was kommen wird.

Ich übe mich also in Optimismus, und kippe doch dauernd vom dünnen Optimismusseil. Dann klettere ich langsam wieder aufs Seil, nur um kurz darauf erneut, wild mit den Armen rudernd, herunterzufallen.

Schön ist das nicht. Ich wünschte, ich könnte die optimale Optimismus-Balance finden, und mich wenigstens etwas länger auf diesem Seil halten. Wie oft muss man vom Optimismusseil fallen, bis man die Balance heraus hat. Wann ist man einmal zu viel vom Optimismusseil gefallen, und findet sich damit ab, dass das nichts mehr wird mit dem Optimismus?

Ich liebe Worte. Ich lese gerne Worte. Ich höre gerne Worte. Ich schreibe gerne Worte. Ich spreche gerne Worte. Aber seit einer Weile scheue ich zurück vor den Worten. Ich scheue zurück vor Worten, die ich lese(n muss), vor Worten die ich höre(n muss).

So viele Worte, die durch die Luft fliegen, die mir geschrieben werden, die mir ins Auge springen oder ins Ohr geflüstert werden, handeln von schrecklichen Dingen, erzählen traurige Geschichten oder düstere Geheimnisse, flüstern von Ängsten, Sorgen und Albmahren.

Manche der Worte sind hässlich wie die Nacht, manche Wörter reißen in düstere Abgründe, verletzen mit ihren scharfen Kanten und Ecken. Manche Worte sind hohl und leer, oder verlogen oder verächtlich.

Ich bin randvoll mit Worten, aber sie weigern sich über meine Zunge zu kommen, oder durch den Stift oder die Tastatur aufs Papier oder den Monitor.

Manchmal habe ich das Gefühl, ich ersticke an all diesen unausgesprochenen und ungeschriebenen Worten. Ich frage mich, welchen Sinn macht es, zu all den Worten die schon da sind, nur noch mehr hinzuzufügen? Sind nicht längst zu viel der Worte gemacht?

Viele Menschen glauben ja, wer nicht spricht oder schreibt, hat nichts zu sagen. Das kann natürlich manchmal sein, aber viel öfter stimmt es eben nicht.

Ich habe mir gedacht: Wenn es mit den Worten nicht klappt, auch nicht weiter schlimm. Lass Taten sprechen!
Manchmal klappt das tatsächlich. Aber längst nicht in dem Ausmaß, wie ich es mir wünschen würde. Denn auch die Taten erscheinen mir immer lächerlicher. Der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. So klein und unscheinbar, so lächerlich, so viel zu kurz, so … .

Und dann ermahne ich mich wieder zum Optimismus. Viele kleine Tropfen ergeben am Ende ein Rinnsal, ein Rinnsal kann zum Bach werden, der Bach zum Fluß und am Ende das große weite wilde schöne Meer.

Wenn viele Menschen kleine Tropfen beisteuern, das wäre doch hoffnungsvoll! Wenn jeder denken würde, ach, es ist nur ein Tropfen, das hat keinen Sinn, dann, ja dann kann es nichts werden mit der Hoffnung und dem Optimismus und dem Gegenhalten und Widerstand leisten und das Ruder herumreißen und ach so vielem.

Ich klettere also wieder auf das Optimismusseil und versuche ein paar Schritte.
Ich übe mich darin Worte auszusprechen oder zu schreiben. Optimistische, positive, gute, konstruktive, ermutigende, tröstende Worte.

Ich öffne meinen Mund, um sie auszusprechen, denn sie sind ja da in mir, und es kommt: nichts. Nur ein großes hallendes Schweigen.

Ich versuche es mit dem Schreiben. Ich ringe um Worte, um Sätze, um Formulierungen, und am Ende sitze ich inmitten zerknüllter und zerrissener Zettel, oder mein Finger fällt am Ende doch wieder schwer und gnadenlos auf die Delete-Taste, weil die Worte nicht passen wollen.

Ein Spaß ist das alles nicht. Ich leide darunter.
Ich leide darunter, Menschen, denen ich nur zu gern Mut machen würde, keine Mut machen zu können.
Ich leide darunter keine Worte des Trostes zu finden, für diejenigen, die Trost brauchen.
Ich leide darunter, nicht mal mehr ein simples »Es tut mir so leid!«, herauszubringen.
Ich leide darunter, für unbeteiligt oder desinteressiert zu gelten, für unempathisch oder (am schlimmsten) für treulos gehalten zu werden,
weil ich schweige.

Ich habe von einer Freundin erfahren, dass es ihr ähnlich geht. Und irgendwann haben wir uns gemeinsam darüber gewundert, warum dieses Schweigen nicht zur Abwechslung mal über all jene kommt, die so viel Hass und Gift in ihren Worten verspritzen. Aber die scheinen überhaupt keine Probleme zu haben, Worte zu finden, auszusprechen oder auf Papier und Monitore zu bringen.

Das neue Jahr ist da.
Ich übe mich darin, aufs Optimismusseil zu klettern, mir beim Herunterfallen nicht sämtliche Knochen und den letzten Rest Mut zu brechen, und wieder und wieder aufzustehen, um wiederum aufs Optimismusseil zu klettern …

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