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Nachruf auf einen Freund

Für Hannes
1974 - 2016

Es war lange vor Twitter, da stieß ich auf einen Blog mit dem Namen »Jazzlounge«. Dort bloggte ein Hannes über seine Liebe zum Jazz, stellte enthusiastisch Jazzmusiker und Jazzbands vor. Eine Weile las ich still mit, irgendwann kommentierte ich das erste Mal und bald kommentierten wir gegenseitig in unseren Blogs und tauschten uns über unsere Neuentdeckungen auf dem weiten Feld des Jazz aus und gaben uns gegenseitig Hörtipps.

Damals gab es so etwas wie Spotify & Co. noch nicht und da wir uns eher abseits des Mainstream-Jazz herumtrieben, war es manchmal gar nicht so einfach, an die entsprechenden Musikstücke zu kommen. Hannes muss über eine recht große Jazzmusik-Bibliothek verfügt haben, meine war auch recht gut bestückt. Irgendwann hatte ich einen kleinen Umschlag in der Post. Der Umschlag kam von Hannes. Im Umschlag war eine CD, auf die er Jazzstücke gebrannt hatte, von denen er annahm, dass sie mich interessieren könnten, sowie von Stücken über die wir diskutiert hatten, an die für mich aber kein Herankommen war. Kurz darauf schickte ich ihm eine gebrannte CD mit ebensolchen Musikstücken zurück. Wir haben in den folgenden Jahren eine Menge CDs gebrannt und hin und her geschickt und dann darüber diskutiert. So lernte ich Johannes Korten, genannt Hannes, kennen.

Unsere Gespräche drehten sich aber bald nicht mehr nur um das Thema Jazzmusik. Wir diskutierten per E-Mail über eine große Bandbreite an Themen: Gott und die Welt. Das waren für uns beide immer sehr tiefe und bereichernde Unterhaltungen. Nicht, dass wir uns immer einig gewesen wären, aber wir respektierten unsere unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven.

Irgendwann dann ging es ihm nicht gut und aus dem was er schrieb, zog ich meine Schlüsse. Ich bin gerade was persönliche Dinge angeht, eher der zurückhaltende Typ und so rang ich eine Weile mit mir, ob ich das Thema um das es offensichtlich ging, klar benennen sollte oder nicht. Ich beschloß abzuwarten, ob es sich einfach ganz natürlich ergeben würde.

Und dann eines Tages war es soweit, und ich sprach ihn direkt auf das Thema Depression an und fragte ihn, ob er damit zu kämpfen habe. Nach einer kurzen Pause, antwortete er mir ehrlich und schrieb auch, dass er eigentlich darüber nicht viel rede. Daraufhin erzählte ich ihm, dass ich selbst auch schon lange unter Depressionen leide. Wir hatten danach nicht wenige Gespräche, die sich ausschließlich um dieses Thema drehten. Wir erzählten einander zumindest in Auszügen, wie wir es erlebten, wenn diese Krankheit wieder ihr Haupt erhob, und wie wir versuchten, damit umzugehen und damit zu leben so gut, wie es eben geht.

Diese Gespräche führte dazu, dass wir einander noch tiefer wertschätzten und hob unseren Kontakt nochmal auf eine tiefere Ebene. Wenn er meinte, aus meinem Blogeinträgen oder Tweets »herauszuhören«, dass ich wieder mehr zu kämpfen hatte, kontaktierte er mich, zuerst per Mail, später auch über Twitter (in den Direktnachrichten) und umgekehrt. Wir machten uns gegenseitig Mut und erinnerten uns gegenseitig daran, dass es jenseits der Dunkelheit immer noch Licht gab, auch wenn wir es im Moment nicht mehr selbst wahrnehmen konnten. Und wir freuten uns gemeinsam, wenn wir endlich wieder einen Silberstreif am Horizont sehen konnten und das Licht langsam aber doch seinen Weg zurück in unsere Leben fand.

Über die Jahre blieb unsere Freundschaft und der Kontakt bestehen. In größeren Wochen-, manchmal auch Monatsabständen, fanden wir immer wieder interessante Themen, über die wir uns austauschten.

Johannes war ein engagierter Mensch, der mit offenen Augen und einem großen Gerechtigkeitssinn durch die Welt ging. Er litt wirklich bis ins Innerste unter Ungerechtigkeiten in der Welt, unter der Gewalt und dem Haß, der sich immer mehr auszubreiten schien. Er wollte eine bessere Welt und tat was immer ihm möglich war, um dazu beizutragen.

Vielen wird seine »Mutmachparade« in Erinnerung geblieben sein. Dort berichteten wir einander, wie wir uns selbst Mut zusprechen, wie wir andere ermutigen und was wir erlebt haben, wenn wir uns ein Herz bzw. Mut gefasst und etwas gewagt hatten.

Das wohl eindrücklichste Beispiel für sein Engagement war die große Hilfsaktion, die er für seinen Freund Kai anstieß, als der nach einem Schlaganfall ins künstliche Koma gefallen war und dessen Familie nicht wusste, wie es weitergehen könnte. Mit der Aktion »Ein Buch für Kai« und einer Spendensammlung hat er ein Beispiel dafür gegeben, wie es aussehen kann, das Internet zu einem besseren Ort zu machen, was ihm immer ein Anliegen war. Damals bat er uns alle

»Bewahrt euch diese Menschlichkeit! Es gibt so viele andere Menschen in Not!«

Noch etwas hat mich immer beeindruckt, nämlich seine große Liebe zu seinen Kindern, seinem Junior und seinem Mademoisellchen. Ich dachte immer, wenn alle Stricke reißen sollte, könnte ihn am Ende diese Liebe zu seinen Kindern halten.

Auch unsere letzte längere und tiefgehende Diskussion hatten Hannes und ich über das Thema der Gerechtigkeit in der Welt. Ich hatte ihn auf das Buch »Politische Emotionen - Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist« von der US-Amerikanischen Philosophin Martha C. Nussbaum hingewiesen, das er sich umgehend zulegte und las. Und dann diskutierte wir. Er war sehr angetan von ihren Gedankengängen und Ansätzen, ja er war richtiggehend enthusiastisch und plante auf der re:publica in diesem Jahr eine Session rund um diese Thematik anzubieten. So diskutierten wir, wie er das große Thema entsprechend aufbereiten könnte. Meines Wissens nach hat er wenige Tage später ein entsprechendes Paper für die re:publica eingereicht, das aber zugunsten des Themas »Das Netz ist ein guter Ort, wenn wir es gemeinsam dazu machen« zu dem er dann auf der re:publica sprach, nicht zum Zuge kam. Die Gedankenanstöße aus dem Buch bewegten ihn gedanklich aber auch weiterhin sehr.

Irgendwann gegen Ende letzten Jahres, bemerkte ich, dass sich über ihm wieder die dunklen Wolken zusammenballten. Ich kontaktierte ihn wieder hinter den Twitter-Kulissen und er bestätigte mir, dass es ihm schlecht ging. Ich versuchte wieder ihm Mut zu machen und ihn dazu zu bewegen, sich professionelle Hilfe zu suchen. Ich wusste, dass es auch andere Freunde gab, die Bescheid wussten, und ihn ebenfalls in diese Richtung zu bewegen suchten.

Vor etwa vier Wochen hakte ich noch einmal nach und merkte schnell, dass er nicht bereit war tiefergehend über seine aktuelle Situation zu sprechen. Ich drängte ihn auch nicht dazu, sondern signalisierte ihm nur, dass ich jederzeit ein Ohr für ihn hätte, wenn er das wolle und dass ich auch sonst bereit wäre ihm zu helfen, wenn das irgendwie möglich und gewünscht sei. Er bedankte sich und meinte, im Moment gäbe es nichts, was ich für ihn tun könne. Es reiche ihm zu wissen, dass ich an ihn denke.

Wenige Tage später schrieb er den Blogeintrag »Mein Jazz ist kaputt« und spätestens da ahnte ich, dass die Krise diesmal wesentlich tiefer ging, als all die Male zuvor.

Noch einmal, am 27. Juni, hatten wir hinter den Twitterkulissen einen kurzen Kontakt. Als letztes schrieb er:

»Ich hoffe, es geht dir gut. Ich freu mich, auch so mal wieder von dir zu hören. Glück auf!« Ich ahnte nicht, dass das seine letzten persönlichen Worte an mich sein würden.

Heute morgen las ich, kaum aufgewacht, einen Tweet von ihm, der einen Link zu einem neuen Blogeintrag von ihm enthielt. Unter Tränen las ich, was er dort geschrieben hatte und ahnte, dass jede Hilfe zu spät kommen würde, so gerne ich noch einen Funken Hoffnung gehabt hätte. Wenige Stunden später kam die traurige Gewissheit: Mein Freund Hannes lebt nicht mehr.

Ich bin unsagbar traurig für ihn, seine Frau und die beiden Kinder und alle die ihn kannten und geliebt und geschätzt haben.

Danke Hannes für Deine Freundschaft, Deinen Mut, Dein Engagement und all die bereichernden Gesprächsstunden. Du wirst mir sehr fehlen! Und ich werde versuchen, Dir Deinen letzten öffentlich geäußerten Wunsch zu erfüllen, so gut ich es vermag:

„Wenn ich einen letzten Wunsch hätte, dann wäre es der hier: Schaut in jeder Situation gemeinsam nach vorn. Seit achtsam mit euch selbst und dann aufeinander. Macht die Welt im Großen wie im Kleinen wieder zu einem guten Ort. Lebt den Gedanken, dass das gemeinsam im Miteinander möglich ist, weiter.«