Privates ·Tagesnotizen 2015

Tagesnotizen

Ich habe in den letzten Tagen zwei Filme gesehen, die gerade in unseren Kinos laufen. Der erste war »The Imitation Game« über Alan Turing und der zweite war »Die Entdeckung der Unendlichkeit« über Stephen Hawking. Beides ganz großartige Filme! Sowohl Benedict Cumberbatch, der Alan Turing darstellt, als auch Eddie Redmayne, der Stephen Hawking verkörpert liefern eine großartige schauspielerische Leistung ab. Wirklich sehenswert!

Mir gehen beide Filme gedanklich noch sehr nach. Was für Schicksale, diese beiden Männer hatten bzw. haben und wie ihre jeweiligen Leben gelebt haben. Ihre Kämpfe und Niederlagen, ihre Triumphe und Siege. Daneben verblassen all die Stars und Sternchen, die sich heute so sehr in den Vordergrund drängen und die so umjubelt werden … bis der nächste neue Star, das nächste Sternchen am Showhimmel auftaucht. Ich frage mich, wie viele Alan Turings gibt es wohl heute? Wissenschaftler, Forscher, die außerhalb ihres Forscherkollegenkreises kaum einer beachtet oder kennt, die aber an Dingen arbeiten, die der Menschheit wirklich dauerhaft etwas Positives bringen werden, die die Menschheit voranbringen werden. Wer kennt die Namen unserer brilliantesten Wissenschaftler und Forscher? Wer ist heute noch bereit, solche Opfer zu bringen, so viel Hingabe und Arbeit zu leisten, wie diese beiden? Ich bin sicher, es gibt solche Menschen irgendwo unter uns. Aber wer kennt sie? Wer gibt ihnen die Anerkennung, die sie verdienen? Alan Turing, hat von der späten Rehabilitierung und Ehrungen nichts mehr. Stephen Hawking hatte in der Hinsicht etwas mehr Glück. Er konnte es sich sogar »leisten«, den Ritterschlag durch Queen Elizabeth abzulehnen.

Mich hat schon früher sehr bewegt, das viele Wissenschaftler und Künstler zu ihren Lebzeiten keine oder kaum Anerkennung bekamen und heute weltberühmt sind. Man denke z.B. an Vincent van Gogh, der zu seinen Lebzeiten kaum ein Bild verkauft bekam und den nur sein Bruder Theo vor dem kompletten wirtschaftlichen Ruin bewahrte. Solche und ähnliche Geschichten finden sich gerade im Künstler-Milieu zuhauf. Die Künstler, die heute umjubelt werden, deren Bilder für Millionenbeträge gehandelt werden, müssen nicht zwangsläufig auch die Künstler sein, an die man sich in 200 oder 300 oder noch mehr Jahren erinnern wird. Wie viele Künstler werden dann berühmt und weltweit bekannt sein, die heute kaum einer eines Blickes würdigt. Wie viele großartige Schriftsteller sitzen irgendwo in einem Kämmerlein und schreiben unermüdlich vor sich hin, obwohl ihre Manuskripte von berühmten Verlagen abgelehnt wurden oder werden. Gut, vielleicht versucht der ein oder andere es heute per Selbstverlag, aber ich denke eher nicht.

Manchmal kommt es mir vor, als hätten wir schon hier auf diesem Planeten so etwas wie echte Paralleluniversen. Das eine Universum ist, das, was wir jetzt vor Augen haben, und von dem wir annehmen oder glauben, es sei das einzig wahre Universum. Das, in dem wir eben leben. Aber gleichzeitig gibt es da vielleicht noch andere Universen, in denen ganz andere Dinge geschehen und ablaufen, in denen völlig andere Menschen die Hauptrollen spielen, in denen völlig andere Themen auf der Tagesordnung stehen. Und wir hier ahnen nichts davon. Wir sind so sehr mit »unserem« Universum beschäftigt, dass wir blind und taub sind, für das andere oder die anderen Universen.

Vielleicht ist es sogar ganz gut so, dass wir blind und taub sind dafür. Die Menschheit in unserem Universum, kann ja schon mit den in »unserem Universum« vorhandenen Verschiedenheiten nicht umgehen. Die »Fremden« unter uns, die, die nicht in unsere kleines Weltbild passen, sind ja offenbar schon für die meisten eine echte Überforderung. Was würden sie erst tun und sagen, wenn da noch ein oder gar zwei Universen neben unserem wären, wo die Dinge völlig anders liegen und ablaufen? Wie beschränkt sind wir in unserem Denken eigentlich? Wir rühmen uns unserer »Toleranz« und dabei reicht sie, wenn’s gut geht, gerade mal ein paar Zentimeter weiter als bei denen, über die wir hochmütig die Köpfe schütteln, weil sie ja ach so intolerant sind.

Wo sind heute die wirklich freien Geister? Wir tragen vergangene Geisteshelden wie Trophäen vor uns her. Berufen uns auf deren geistiges Erbe, errichten ihnen teilweise sogar moderne Tempel, aber was schaffen wir und was geben wir zukünftigen Generationen an Neuem und vor allem wirklich im tiefsten und positivsten Sinne Voranbringendes weiter?
Wie schnell sind wir Menschen bereit, andere wegen irgendwelcher seltsamer »Talente« auf ein Podest zu stellen, sie zu bewundern und für die Größten zu halten? Die wahren »Großen« dieser Welt, gehen derweil unter Umständen unerkannt und ungewürdigt zugrunde. Im schlimmsten Fall glauben sie sogar selbst, sie hätten versagt und würden der Welt bzw. der Menschheit nichts von Wert hinterlassen. Oder sie wissen, was sie geschafft haben und verzweifeln daran, dass es kaum jemanden interessiert.

Wieviel Talent, wieviel Brillianz ersticken wir schon im Keim? Weil wir es in unserer Kleingeistigkeit nicht schaffen, es sich entwickeln und reifen zu lassen? Weil heute alles schnell schnell gehen muss und natürlich sofort »Gewinn« im Sinne von »Geld« bringen muss. Schaut man sich die Kommerzialisierung z.B. im Wissenschaftsbereich oder in der Kunst an, könnte man weinen. Da ist kaum noch Raum für langfristige Forschung (die nicht sofort vorzeigbare und vor allem in bare Münze umsetzbare Erfolge bringt). Kreative, die am Rande des Existenzminimums bzw. unterhalb davon leben, können ihre Kunst nicht weiter ausbilden und zur Blüte bringen, weil sie ums nackte Dasein kämpfen müssen. Klar, es gibt auch heute Mäzene und Förderer, aber es sind nicht viele und auch die können nicht auffangen, was aufzufangen wäre. Was für Motive heutige Mäzene und Förderer haben, und was sie als Gegenleistung von den von ihnen Unterstützten erwarten, ist noch ein ganz anderes Thema.

Und wieviel Talent, wieviel Brillianz ersticken wir schon im Keim, weil wir nicht nur kleingeistig sondern auch engherzig sind? Welcher neue Da Vinci, welcher neue Einstein, welcher neue Stephen Hawking, welcher neue Alan Turing ertrinkt gerade im Mittelmeer oder stirbt in den Ruinen von Homs oder Mariupol?

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Aus der Rubrik »Mit Mythen aufräumen« und im Zuge der Aufklärung, bevor 2017 das Lutherjahr beginnt: Martin Luther hat das mit dem Apfelbäumchen pflanzen nie gesagt bzw. geschrieben! Zum ersten Mal taucht das Zitat »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen« in einem Rundbrief der hessischen Kirche vom Oktober 1944 auf! Hab ich heute gelernt, als ich wieder ein bisschen im Buch »Die deutsche Seele« von Thea Dorn und Richard Wagner (nicht DER [wiederauferstandene] Wagner!) gelesen habe. Wenn sich das rumspricht, sehe ich schwarz für die zukünftige Nachpflanzung von Apfelbäumchen!

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Sehr entzückt bin ich übrigens von der Duftkerze »Sweet Sunrise« von Rituals, mit der ich mich durch diesen Monat zu retten hoffe (was bisher auch ganz gut klappt). Ja, der Duft ist schön dezent und angenehm, aber das ist es nicht allein. Die Kerze kommt in einem soliden Glas und *tata* (!) ihre Ränder lösen sich beim Abbrennen vom Glasrand. D.h. es brennt wirklich die komplette Kerze ab und es bildet sich nicht, wie bei den meisten Kerzen, in der Mitte eine Art Krater in dem dann irgendwann tief unten der Docht sitzt, während die Ränder der Kerze unverbraucht stehen bleiben. Toll!

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Heute gehört, genossen und gelacht: die Abschlußrede 2013 für Absolventen der University of Western Australia von Tim Minchin.

»I never really had one of these dreams and so I advocate passionate, dedication to the pursuit of short-term goals. Be micro-ambitious. Put your head down and work with pride on whatever is in front of you. You never know where you might end up. Just be aware the next worthy pursuit will probably appear in your periphery, which is why you should be careful of long-term dreams. If you focus too far in front of you you won?t see the shiny thing out the corner of your eye.« …

»Don?t seek happiness. Happiness is like an orgasm. If you think about it too much it goes away.« …

»We must think critically and not just about the ideas of others. Be hard on your beliefs. Take them out onto the verandah and hit them with a cricket bat. Be intellectually rigorous. Identify your biases, your prejudices, your privileges. Most of society is kept alive by a failure to acknowledge nuance. We tend to generate false dichotomies and then try to argue one point using two entirely different sets of assumptions. Like two tennis players trying to win a match by hitting beautifully executed shots from either end of separate tennis courts.«

2 Gedanken zu „Tagesnotizen

  1. Luther hätte so oder so das Apfelbäumchen nicht selber gepflanzt, er hätte sich allenfalls hingestellt und gerufen: »Ka-tha-riiiii-na!«

  2. @ Friederike - danke für den Lacher, den mir Dein Kommentar beschert hat. Höchstwahrscheinlich hast Du vollkommen recht! :-)

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