Privates ·Tagesnotizen 2015

Tagesnotizen

Die Umstellung meiner Schlafgewohnheiten beschäftigt mich doch mehr als erwartet. Den ganzen Tag konnte ich die Müdigkeit nicht aus mir herausschütteln. Wie lauter kleine Gewichte, hing sie an meinem Körper, und jede Bewegung kostete mich doppelte Anstrengung. Mit der Konzentration war es entsprechend ebenfalls nicht gut bestellt. Gedanklich länger an einem Thema zu bleiben, war kaum möglich. Eher wehten mich lauter kleine Fragmente an, die ich zu fassen und festzuhalten versuchte. Mit wenig Erfolg.

Zwei kurze Nächte, in denen ich zudem eher schlecht schlief, verwandeln mich also in eine Art Zombie. Früher bin ich mit sehr viel weniger Schlaf ausgekommen. Aber heute ist heute, und heute stecke ich sowas offensichtlich nicht mehr einfach weg. Ich versuche ja Abends früher ins Bett zu kommen und morgens entsprechend früher aufzustehen. Die letzten beiden Tage habe ich das nicht getan, bin aber trotzdem früh aufgestanden. Das waren dann eindeutig zu wenig Stunden Schlaf. Schummeln geht also nicht.

Wenn ich morgens so früh aufstehen will, muss ich abends auch entsprechend früh zu Bett gehen, sonst rächt es sich binnen kurzer Zeit. Diese Erkenntnis löst bei mir eher Unbehagen aus. Um 22 Uhr im Bett zu verschwinden und spätestens um 23 Uhr das Licht zu löschen, gibt mir das Gefühl, als würde ich Zeit, in der ich viel erledigen könnte, verschwenden. Etwas in mir sträubt sich sehr gegen diesen Rhythmus. Weil ich es mir aber nun mal so vorgenommen habe, aktiviere ich meinen Sturkopf und bleibe dabei. Die Frage, wie lange noch, stellt sich mir allerdings immer lauter und drängender.

Ich versuche mich zu motivieren, indem ich mir aufzähle, was für Vorteile das frühe Aufstehen mit sich bringt. Die SONNENAUFGÄNGE!!! Der Gesang der ersten Vögel am Morgen! Was man alles bis zum Mittagessen erledigt bekommt (natürlich vorausgesetzt man ist auch wirklich halbwegs ausgeschlafen und wankt nicht wie ein Zombie durch den Tag)! Die Anpassung an die sozialen Geflogenheiten hier im Dorf. Tja, alles gut und schön … ABER …

Geradezu mit Widerwillen und Horror erfüllt mich der Gedanke, im Sommer, wenn es hier bei uns bis gegen 23 Uhr noch richtig hell ist, um 22 Uhr ins Bett zu verschwinden. Ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich fertig bringen werde bzw. überhaupt will. Wenn aber nicht, dann ist dieses Experiment des »frühen zu Bett gehens und frühen Aufstehens« zeitlich sehr begrenzt. Damit stellt sich mir die Frage, warum soll ich mich jetzt so quälen? Dann kann ich doch auch gleich bei meinem eigentlichen und bewährten Schlafverhalten bleiben.

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die Änderung von lange ausgeübten Verhaltensweisen immer eine gewisse Zeit benötigt. Ich weiß nicht mehr genau, wie viel Zeit die Wissenschaftler dafür veranschlagt hatten, aber auf jeden Fall bin ich noch in diesem Zeitrahmen unterwegs. Also ermahne ich mich ständig, das was ich jetzt fühle, nicht zu ernst zu nehmen und bloß keine langfristigen Entscheidungen über das weitere Vorgehen, daran auszurichten. Ich denke, mindestens vier Wochen muss ich das jetzt so durchziehen, wenn nicht sogar das dreifache (ein Vierteljahr) oder das sechsfache (ein halbes Jahr).

Natürlich hoffe ich, und zwar mit jedem Tag mehr, dass ich eines (sehr absehbaren) morgens aufwache und sofort spüre, dass jetzt alles anders ist. Kein Unbehagen mehr, keine Anstrengung mehr, sondern Freude, Selbstverständlichkeit und ungehemmte Tatkräftigkeit. Neue Routine eben, Gewöhnung. So, wie ein Flugzeug eine dicke Wolkendecke durchstößt und darüber dann der strahlende Sonnenschein ist.

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Ich lese u.a. gerade »Heute bedeckt und kühl - Große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf« von Michael Maar. Dieses Buch wollte ich schon lange lesen und freue mich sehr, dass es jetzt endlich soweit ist.

Gottfried Keller schrieb vom »traulichen Schmollwinkel meines Tagesbuches«. Bloggen, so wie ich es im Moment tue (und ja auch viele andere), ist ja im Grunde eine Art (virtuelles) Tagebuchschreiben. Allerdings habe ich das für mich noch nie als »Schmollwinkel« gesehen oder empfunden. Aber etwas scheint mir doch dran zu sein, denn natürlich schreibt man auch über innere Befindlichkeiten, etc. und wer ist schon komplett frei von Selbstmitleid. Was mich zum nächsten Gedanken brachte, nämlich wie wirkt das, was ich hier so schreibe, wohl auf die Leser? (Was man sich vermutlich lieber nicht fragen sollte, wenn man so bloggt, wie ich es gerade tue, weil man diese Art des Schreibens, dann sofort einstellt.) Vermutlich mache ich mich häufig damit recht lächerlich, und meine armen Leser schütteln den Kopf über mich in meinem »Schmollwinkel« oder über meine Naivität, Dummheiten und die Banalitäten meines Lebens (zumindest gewisser Teile daraus, die hier im Blog landen, dass ja nur Teilbereiche bzw. Fragmente abbildet).

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Gefallen hat mir, was ich über Goethe las, der zeitweilig durch den Kreis um Susanna Katharina von Klettenberg, enge Kontakte zu Pietisten der Herrnhuterschen Prägung, den sogenannten »Stillen im Lande«, hatte. Diese Richtung zeichnete sich vor allem auch dadurch aus, dass sie viel Innenschau abhielt und jede Regung der Seele sorgenvoll abtastete. Im Buch ist die Rede von dem »Hin- und Herwenden aller Seelenkrümel, unter denen sich womöglich ein sündiger befand«. Später löste sich Goethe aus diesem Kontext und entfernte sich von den »Seelenzerkrümlern«. Ich selbst kenne den Pietismus in unterschiedlichsten Ausprägungen und muss sagen, der Ausdruck »Seelenzerkrümler« ist durchaus zutreffend. Reflektion über das eigene Leben und Tun ist einerseits keine grundsätzlich schlechte Angewohnheit, aber wo sie zu weit getrieben wird, kann sie tatsächlich üble Folgen haben und sogar zerstörerisch wirken.

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Damit der Tag nicht ganz vergeblich verging, habe ich nachmittags einen größeren Vorrat an sibirischen Pelmeni angelegt. Eine Tätigkeit, die keine intellektuellen Glanzleistungen oder sonderliche Konzentration erfordert. Schlichte manuelle Tätigkeit, an deren Ende ich eine Menge Pelmeni einfrieren konnte. Was sehr gut ist, denn Pelmeni zählen für mich zur »Seelennahrung«, vor allem im kalten, dunklen Winter. Eine kleine Portion stellte ich für das heutige Abendessen beiseite.

4 Gedanken zu „Tagesnotizen

  1. Ich lese Deine Tagesnotizen sehr gerne.

    100 Tage soll es wohl dauern, bis sich eine Gewohnheit eingeschliffen hat. Ich hoffe, Deine nächste Nacht ist erholsam.

    Das Bild ist wunderschön! Ist es von Dir?

  2. @Frische Brise - dankeschön für Dein positives Feedback, das mich sehr freut.

    Die vergangene Nacht war erholsam und vor allem länger als die beiden vorangegangenen. Dementsprechend fühle ich mich heute auch deutlich besser.

    Das Bild ist leider nicht von mir. Es ist von Crystal Liu. Wenn Du zukünftig mal wissen möchtest, von wem ein Bild ist, einfach mit der Cursor auf das Bild gehen, dann wird es angezeigt.

  3. Liebe Liisa,
    nur noch hier könnte ich lesen!
    Wie kommt es, dass hier plötzlich täglich Neues steht- und es war doch mal ein langes virtuelles Schweigen…?
    So, jetzt lese ich den Eintrag von heute - mit anerkennendem Gruß - Sonja

  4. @Sonja - tja, wie kommt es? Es kam sozusagen über mich, genauso wie das Schweigen über mich kam. Ich habe auch keine Ahnung, wie lange es so bleibt. Aber im Moment ist es so, wie es ist. Es freut mich sehr, dass Du gerne hier liest!

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