Privates ·Tagesnotizen 2015

Tagesnotizen

Ich denke immer noch über etwas nach, was ich Anfang des Jahres las:

»Du hast, was du willst.
Und was du nicht willst - das hast du nicht.
Also sag’ mir nicht, was du willst - schau dir einfach dein Leben an, und dann weißt du sofort, was du willst. …
Also brauchst du mir nicht erzählen, dass du bestimmte Dinge in deinem Leben nicht willst - hast du sie dauerhaft über Monate und Jahre, dann willst du sie eigentlich nämlich DOCH.
«

Seither frage ich mich öfter, wenn ich denke Ich will dies oder das bzw. Ich will dies oder das nicht: Stimmt das wirklich? Will ich dies oder das wirklich (bzw. nicht) inklusive dem, was ich dafür tun oder lassen muss oder der Konsequenzen, die das hat?

Und ich stelle fest, dass mein erster Impuls häufig so nicht stimmt. Ich sage, ich will etwas, aber ich will es quasi »kostenlos« oder wenigstens so günstig wie möglich. Oder ich sage, ich will etwas nicht, aber ich will auch das möglichst ohne eigene Einbußen und Konsequenzen.

Ein Beispiel: Ich könnte denken/sagen: »Ich will fitter sein und will nicht als Couchpotatoe leben«. Aber ich bin nicht bereit, zu tun, was dafür zu tun ist. Nämlich mich aufzuraffen und aktiv zu werden. Mal hab ich keine Lust, mal ist das Wetter zu schlecht, mal hab ich kein Geld, um z.B. in eine Fitness-Center zu gehen und an einem Sportkurs teilzunehmen, oder was auch immer. Das ist, offen gesagt, kompletter Bullshit!

Wenn ich keine Lust habe, dann ist mir ganz offensichtlich etwas anderes (wozu ich gerade Lust habe) wichtiger (vermutlich auf dem Sofa abzuhängen und mir irgendein Buch oder eine Serie reinzuziehen), als fitter zu werden.

Wenn ich das Wetter als Ausrede vorschiebe, ist mir mein Wunsch fitter zu werden, offenbar nicht so wichtig, wie ich es mir einrede, sonst würde mich das bisschen Wasser, das da vom Himmel fällt, nicht davon abhalten können.

Und hab ich wirklich kein Geld, um in ein Fitness-Center zu gehen und an einem Sportkurs teilzunehmen, oder gebe ich das Geld lieber für tütenweise Chips, Junkfood oder anderen Kram aus?

Das ist jetzt, wie gesagt, nur ein Beispiel.

Wie sehr will ich die Dinge, die ich glaube zu wollen (oder eben nicht zu wollen), wirklich? Ich stelle fest, man kann sich ganz schön selbst was vormachen, und wenn man das lang genug (im schlimmsten Fall jahrelang) so handhabt, dann glaubt man sich die Lügen am Ende selbst und merkt es nicht mal mehr. Man hält die Selbsttäuschungen für wahr.

Warum treffe ich Entscheidungen so, wie ich sie treffe? Wirklich aus den Gründen, die ich angebe (vor mir selbst und anderen)? Oder weil ich mich um andere eigentlich wichtigere Dinge, Aktivitäten und Entscheidungen herumdrücke?

Mich stört etwas in meinem Leben? Da kann ich jetzt natürlich anfangen zu jammern, wochen-, monate- , jahre-, ein Leben lang. Ändern tut das nichts. Ich muss endlich Verantwortung für mich selbst und mein Leben übernehmen und aktiv etwas dafür oder dagegen tun. Tue ich das nicht, dann ist mein Jammern und Klagen reines Selbstmitleid, und wenn ich wohlmöglich auch noch anderen die Ohren volljammere, weil ich dies oder das in meinem Leben habe oder nicht habe, in den oder diesen Umständen stecke, dann grenzt das schon an Belästigung, weil es leeres Gejammer ist und bleibt. Ich könnte Dinge ändern, aber ich tue es nicht. Ich entscheide mich dagegen, aktiv etwas zu unternehmen, die Konsequenz ist, alles bleibt wie es ist. Daran bin dann aber ich allein schuld und niemand sonst, kein andere Mensch, nicht die »Umstände«, nicht was auch immer.

Ich fürchte, wir erlauben uns selbst viel zu oft, uns mit billigen Ausreden vor unserer eigenen Verantwortung zu drücken. Wir erlauben uns selbst viel zu oft unsere Verantwortung auf andere oder die Umstände abzuschieben und bloß nicht aktiv zu werden und konkret etwas zu verändern.

Wenn ich also in diesen Tagen denke »Ich will … « oder »Ich will nicht …«, dann überlege ich nochmal ganz genau, ob ich wirklich will bzw. wirklich nicht will?

Und wenn ich dann feststelle, ich sage oder denke zwar, ich will das und das, aber eigentlich im tiefsten Inneren will ich es doch nicht, weil dann müsste ich ja dies und das tun/lassen/ändern (und zwar wirklich und sofort), dann ist das auch okay. Weil ich mir selbst gegenüber ehrlich bin und zugebe, dass ich es eben nicht wirklich will. Nicht so will, dass ich bereit bin, dafür auch Opfer zu bringen. Ich höre auf, mir (und evtl. auch anderen) etwas vorzumachen. Ich bekomme mehr Klarheit über mich selbst, das was ich will, das was ich nicht will, welche Opfer ich bereit bin zu bringen und welche nicht. Ich fange an, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ich höre auf über Dinge, Umstände, Menschen oder was weiß ich zu jammern, weil ich begriffen habe, eigentlich will ich es doch genauso haben. Sonst würde ich mich in Bewegung setzen und alles tun, was mir möglich ist, um es zu bekommen oder es loszuwerden.

Und ja, beim Nachdenken über all das, erwische ich ich immer wieder dabei, dass ich denke »Umm, aber sooo kann man das doch nicht sagen / denken!«. »Ich würde ja gerne, aber … das sind ja auch ganz besonders schwierige Umstände!« »Ich würde ja gerne, aber ich bin gerade so gestresst, da kann ich nicht auch noch …«.

Mann, Mann, Mann! Ausreden sind echt ein zähes Völkchen!

Wenn ich will, dann will ich wirklich wollen! Egal, was es mich kostet! Ich will keinen Selbstbetrug und keine faulen Ausreden und Ausflüchte mehr! Ich will wirklich herausfinden, was ich will und was nicht. Und ich will vor mir und anderen zu dem stehen, was ich wirklich will, genauso wie zu dem, was ich wirklich nicht will.

Und manchmal bin ich dann sogar überrascht, wenn ich feststelle, was ich wirklich will und was ich wirklich nicht will. Das ist manchmal befreiend und erleichternd und manchmal ist es auch schmerzhaft und beschämend. Aber wenigstens ist es die Wahrheit.

*

Ich hab mich dann heute wieder nach draußen begeben. Weil ich mich in diesem Winter mehr und regelmäßig an der frischen Luft bewegen WILL. Als der geplante Zeitpunkt kam, sprach sofort eine leise einschmeichelnde Stimme zu mir:

»Äh, guck mal raus! Da ist es kalt. Ihhhh wie ungemütlich! Und äh, ist Dir schon aufgefallen, dass es dauernieselt? Du willst doch nicht im Ernst jetzt da raus? Morgen scheint beeeestimmt wieder die Sonne, dann kannst Du ja wieder raus gehen oder vielleicht doch erst übermorgen, da passt es sicher beser! Du hast ja heute auch noch so viel zu erledigen! Nicht, dass Du Dir am Ende noch eine Erkältung einfängst! Jetzt sei mal nicht so streng! Mach dich mal locker und bleib schön zuhause!«

Ich zog mir meine warme Jacke an, nahm meinen im letzten Winter selbstgehäkelten kuscheligen Wollschal und zog ihn mir über den Kopf, drapierte ihn um meinen Hals, zog mir die festen Schuhe an und marschierte zur Tür hinaus. Weil ich WILL mich diesen Winter mehr und regelmäßig an der frischen Luft bewegen. So ist das!
(und die leise einschmeichelnde Stimme zeterte, laut und beleidigt, bevor sie verstummte)

Und dann bin ich eine Stunde um den See gewandert, und zwischendrin ein bisschen durch den Matsch gerutscht, und ich hatte den Eindruck, als wäre ich aus der Zeit gefallen und in einem Wald, den nicht jeder zu sehen bekommt. Ein Wald, der dachte, er sei allein, und den ich ein bisschen dabei überraschte, wie er ganz er selbst war. Und ich kam wieder nach Hause und war schön durchgepustet und frisch im Kopf und in der Seele und der frische heisse Tee hat doppelt so gut geschmeckt, und ich war glücklich und zufrieden. Weil ich wusste, was ich wollte, und weil ich getan habe, was ich wirklich wirklich wollte!

2 Gedanken zu „Tagesnotizen

  1. Ich kann das, was Du da beschreibst, gut nachvollziehen. Ich denke aber, wenn man etwas, das man »will« dann doch nicht macht kann es auch daran liegen, dass es positive *und* negative Anteile hat. Man will halt die positiven Anteile, aber nicht die negativen.

    Was mir oft hilft: eine zusätzliche positive Komponente einbauen. Ich drücke mich auch gerne vor dem Spazierengehen wenn das Wetter nicht so einladend ist. Meine Lösung: ich höre beim Spazierengehen Podcasts. Seither gehe ich auch bei schlechtem Wetter viel lieber raus.

  2. @Michael - Genau! Das hab ich gemeint mit »Ich sage, ich will etwas, aber ich will es quasi »kostenlos« oder wenigstens so günstig wie möglich.« Ich will also nur die positiven Anteile, bin aber nicht bereit auch die negativen Anteile (beispielsweise, dass ich mich anstrengen oder auf etwas verzichten muss, um etwas zu erreichen) zu akzeptieren.

    Witzig, dass Du das mit den Podcasts erwähnt. Das hab ich jetzt nämlich ab und an auch gemacht. Mein mini iPad passt in meine Jackentasche und ab und an hab ich es schon mitgenommen und längere Podcastfolgen angehört. Allerdings bin ich auf diese Idee nicht gekommen, weil ich mich damit hätte motivieren wollen, sondern eher aus Zeitersparnisgründen. Also sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber immer will ich das nicht, weil ich es auch genieße mal ohne künstliche »Klangkulisse« unterwegs zu sein.

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