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Deutsche Rechtsprechung …

… oder der Aufreger des Tages! Da schüttelt ein Vater sein vier Monate alte Baby fast zu Tode und wird von einem Gericht zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt (was ich persönlich für zu wenig halte, da kriegt man für geringere Vergehen ja schon mehr Haft). Der Täter geht in Berufung und ein anderes Gericht reduziert die Strafe auf eine Bewährungsstrafe (!) mit der Begründung »Wir gehen davon aus, dass der Angeklagte durch ein Verhalten des Kindes die Nerven verlor«.

Wirklich, da krieg ich abwechselnd das kalte Grausen und die kalte Wut! Das vier Monate alte Kind ist es also selber schuld! Was verhält es sich auch so, dass der arme Mann die Nerven verlieren muss. Vier Monate alte Kinder haben ja auch eine so riesige Palette an »Verhalten«, dass sie da in aller Ruhe ein Verhalten aussuchen können, um ihre Eltern in den Nervenzusammenbruch zu jagen.

Das Kind ist übrigens seit der Tat im Jahr 2005 immer noch im Koma!

15 Gedanken zu „Deutsche Rechtsprechung …

  1. Das ist unglaublich, aber so ist sie, die deutsche »Recht«sprechung. Wäre es um die Veruntreuung/Diebstahl von Geldern oder irgendwelche anderen materielle »Gütern« gegangen, wäre ein anderes Strafmaß gefunden worden.

    Menschenleben sind nicht allzu viel »wert« in diesem unserem Staate, jedenfalls deutlich weniger, als GeldGeldGeld.
    Und auch, dass man es in diesem unserem Lande nicht so mit dem Opfersschutz hat, ist eine traurige Tatsache und dass dem Opfer hierzulande immer eine Schuld am Geschehen zugeschrieben wird auch.
    In diesem Fall ist es nur so besonders absurd.

  2. Ja, pepa, die traurige Tatsache, dass Opfer in diesem Land eher auf verlorenem Posten stehen, ist wirklich nicht neu aber diesen Fall finde ich mal wieder besonders exemplarisch. Man denke nur mal an das Signal, das mit diesem Urteil ins Land hinaus gesendet wird.

  3. Die gerichtliche Begründung klingt grauenvoll, aber sie schiebt dem Kind keineswegs durch diese Formulierung eine Schuld zu. Das Gericht geht davon aus, daß der Mann nicht böswillig, sondern entnervt gehandelt hat. Die Formulierung »durch ein Verhalten« ist schlechtes Deutsch, weil sie durch den besserwisserischen Tonfall den Verdacht aufkommen läßt, dem Kind werde Mitschuld zugewiesen. Das ist schlimm genug, zumal ungepflegte Sprache auch auf ungepflegtes Denken schließen läßt, aber noch ist es keine reale Schuldzuweisung.
    Es ist Sache der Gerichtsmedizin, zu untersuchen, ob von ihm weiterhin Gefahr ausgeht (und hier gilt leider: Vielleicht ist der zuständige Gerichtsmediziner gut, vielleicht auch nicht).
    Knäste sind eher nicht dazu angetan, Menschen zu bessern; wenn ein Mensch nicht zum Schutz anderer unbedingt eingesperrt werden muß, so muß man vorsichtig mit Verhängung von Freiheitsstrafen sein. Sonstg wird Strafe zur Rache.
    Sinnvoll wäre, mal nachzuschauen, wie evtl. andere Kinder von ihm versorgt sind, wie er mit seiner Frau umgeht, wie sie mit den Kindern umgeht…

  4. Claudia - Deine Einwände bzw. ergänzenden Hinweise sind natürlich richtig. Allerdings würde ich von einem Juristen/Richter doch erwarten, dass er in der Lage ist, sich adäquat in Deutsch auszudrücken.

    Natürlich stimmt auch, dass ich (wir) nichts weiter über den Hintergrund der Geschichte bzw. den Täter wissen und trotzdem bin ich in einem solchen Fall nicht sehr willens mir groß Gedanken über den Täter zu machen. Man schüttelt ein so kleines und hilfloses Kind nicht - egal warum - fertig! Ich meine, da könnte dann auch jeder Halbstarke der irgendeinen armen Senioren zusammengeschlagen hat, hinterher sagen »der hat sich so verhalten, dass ich die Nerven verloren habe« und ist raus aus der Kiste.

    Selbstverständlich soll es um Strafe und nicht um Rache gehen aber was ist an einer solchen Bewährungsstrafe bitte »Strafe«? Der Eintrag, dass Du vorbestraft bist? Nicht sehr abschreckend, oder?!

    Ãœbrigens war ein weiterer Gedanke, der mich beschlich auch der, ob das Strafmaß in beiden Verhandlungen auch so ausgefallen wäre, wenn es die Mutter gewesen wäre, die das Kind geschüttelt hätte. In der Regel werden Frauen in solchen Fällen ja auch härter bestraft als Männer - auch eine seltsame Ausprägung von »Gerechtigkeit«

  5. Nicht böswillig, sondern »entnervt«? Einen Freifahrtschein bekommt hierzulande auch derjenige, der zum Tatzeitpunkt in ausreichendem Maße alkoholisiert ist.

    Aber es stimmt, eine Diskussion ohne Hintergrundinformation ist keine qualifizierte.

    Claudia, wo kann man den Wortlaut des Urteils denn nachlesen?

  6. Bitte versteht mich nicht falsch, aber ein Baby oder ein Kleinkind kann seine Eltern an den Rand des Wahnsinns treiben. Da spielen so viele Faktoren mit hinein. Wenn diese Eltern selber nie gelernt haben: Geduld zu haben, Verständnis zu zeigen, sich intelligent abzureagieren, nie große verzeihende Liebe erfahren haben, nicht gelernt haben, sich selber wert zu schätzen, über den Dingen zu stehen, fanasievoll mit seiner Wut umzugehen und selber kaum einen Erwachsenen in ihrer Kindheit hatten, auf den sie sich verlassen konnten, auf den sie im Bedarfsfall immer zurückgreifen konnten… Dann kann es passieren. Es ist unentschuldbar, es bleibt eine entsetzliche Straftat. Schaut euch um, die ganzen armen Kinder aus prblematischen Familien: sie sind zum größten Teil sich selbst überlassen, sie lernen das soziale Verhalten nicht. In der Schule prügeln sie sich und sind die Verlierer (schlechte Leistungen, wenig Freunde) zu Hause spielen sie nur Computer, schauen fern und haben wenig Kontakt zu Leuten, die ihnen die Welt zeigen. Dabei will ich auch diesen Eltern weiß Gott nicht vorwerfen, sie würden ihr Kind nicht lieben, das maße ich mir nicht an. Ich habe letztes Jahr mit Kinderarmut aufgrund eines Artikels beschäftigt und ein interessantes Gespräch mit der ARche (Kinderhilfswerk) gehabt. Fast alle inder, die dort hinkommen, sind verhaltensauffällig. Was soll das werden, wenn die keiner auffängt, wenn sie groß werden und selber Kinder bekommen… ???

  7. NAchtrag - ich muss noch mal was sagen, weil es die ganze Zeit im Kopf weiter geht. Es ging ja um das Strafmaß: Wenn dieser Mann jetzt tatsächlich nur eine Bewährungsstrafe bekommt, ist das natürlich ein Witz - häh??? Dieser Typ gehört mindestens 5 Jahre in Therapie, um erwas zu begreifen. Aber dafür hat natürlich niemand Geld.

    Also - ich wollte das nicht rechtfertigen - ich wollte nur die Hintergründe beleuchten, wo sie hinführen könnten, da bekommt man gleich noch mehr Angst.

  8. @ Skiopode - Ich weiß, dass ein Baby (z.B. ein sog. (echtes) »Schreikind«) seine Eltern an den Rand des Wahnsinns treiben kann und Du hast auch völlig recht damit, dass es heute auch viele Eltern gibt, die selber in ihrer Kindheit nicht das erfahren haben, was es gebraucht hätte, um sie selbst stabiler zu machen und ihnen das nötige Rüstzeug an die Hand zu geben, mit einer solchen extremen Belastungsprobe umzugehen. Trotzdem - und das hast Du ja in Deinem Nachtrag auch sehr deutlich gesagt - ist so ein Verhalten unentschuldbar.

    Es gibt heute so viele Hilfsangebote und wenn ich ein solches Kind habe, dann muss ich halt den Hintern hoch bekommen und mich nach Hilfe umsehen, sei es Verwandtschaft, Freunde oder eben entsprechende Einrichtungen, die Hilfe bieten. Das sollte jeder auf die Reihe bekommen können und wenn die Eltern selber es in dem Moment aufgrund der hohen »Belastung« durch das Kind nicht auf die Reihe kriegen, können sie jemanden bitten, sie zu entlasten oder sich nach entsprechenden Hilfsangeboten umzuschauen und Hilfe zu organisieren.

    Natürlich kann ich, wenn ich darüber nachdenke auch Gründe finden, die mit erklären können, wie es zu einer solchen Tat kommen kann, aber mein Hauptfokus liegt in diesem Fall auf dem wehrlosen ausgelieferten Kind (Opfer) und nicht auf dem oder den Tätern.

    Im Übrigen stimme ich Dir auch zu, dass der Mann zusätzlich in Therapie gehören würde - allerdings wissen wir ja nicht, ob er eine solche in der Zeit seit der Tat vielleicht schon absolviert hat (die Tat ist ja schon 2005 geschehen) oder noch absolviert, so dass eine solche Therapie gar nicht mehr richterlich angeordnet bzw. gefordert werden brauchte.

    Danke Dir für Deine Beiträge zur Diskussion hier!

  9. das ist eine hochinteressante diskussion hier, und ich möcht einfach nur sagen, daß mir das kind leid tut.
    beim täter schwanke ich zwischen wut und mitleid, also alles sehr emotional…

  10. Mir fällt gerade auf, daß bei einem so hoch emotionalen Thema lauter Erwachsene versuchen, vernunftgesteuert zu reagieren. Das gibt mir Hoffnung; allzuoft höre ich in Fällen wie diesen Rufe nach Folter und Todesstrafe.
    Daß Richter sich in verquastem Deutsch ausdrücken, ist leider häufig zu beobachten; zum Teil sind dafür in verquastem Deutsch verfaßte Gesetzesbücher verantwortlich, aber zum größeren Teil ein Mangel an sprachlicher Phantasie und Sensibilität - ein leider überhaupt behördentypisches Mankol

  11. Es gibt überhaupt keine Entschuldigung dafür, dass ein Erwachsener ein Kind schädigt. Und schon gar nicht, dieses Kind beinahe zu Tode, mindestens zu einen behinderten Mensch schädigt.

    Das Kind war ein Schreikind. (Selbst schuld.) Ich war betrunken. (Alkohol war schuld.) Ich war gestresst. (Job war schuld). Ich war auf Koks. (Drogen waren schuld.)

    Es ist schuld, der die Hand hebt. Basta. Und da gibt es auch keine Entschuldigung für. Ich bin auch nicht der Meinung, dass so ein Mensch in Therapie gehört. Es kann ja wohl von jedem erwachsenen Menschen verlangt werden in einem Alter ab 18 (und natürlich bereits früher) zu wissen, dass körperlicher Aktionismus gegen einen menschlichen Körper, gravierende Folgen haben kann auf das Opfer – insbesondere, wenn es sich um ein kleines menschliches Wesen handelt, das sich in keiner Weise wehren kann, noch über ausgehärtete Schädeldecken verfügt, die möglicherweise das Gehirn besser schützen würden. Mitleid für den Täter? Therapie? Weil er eine Selbstverständlichkeit für sich außer Kraft setzt und den Schaden eines schützenwertes Lebens in Kauf nimmt? Wo leben wir eigentlich?

  12. Das sehe ich wie Du, creezy. Es gibt keine Entschuldigung dafür - wenn überhaupt mag es Erklärungen geben, wie es zu einer solchen Tat kommen konnte. Eine Entschuldigung ist das aber nicht.

    Was das Thema Therapie angeht, da würde ich je nach Fall mit mir reden lassen. Das Wissen, dass körperlicher Aktionismus gegen einen menschlichen Körper gravierende Folgen haben kann, allein reicht leider bei manchen tatsächlich nicht aus und eine Therapie in der jemand z.B. lernt, wie er in Stress-Situationen anders reagieren kann als mit Gewalt gegen andere, kann manchmal zumindest hilfreich sein.

    Mitleid mit dem Täter habe ich indes auch kein bisschen.

  13. Interessante Diskussion. Ich bin der Ansicht, dass nicht jede/r Kinder bekommen sollte. Ich verstehe sowieso nicht, warum Menschen, die keine gesicherte Basis haben (Ausbildung/Studium, Beruf, Finanzen, Respekt für alle Lebewesen, keine Suchterkrankung etc.) Kinder in die Welt setzen. Man kennt in diesem Fall nicht die Hintergrundsituation, aber mich macht es wütend, dass sich das Elend fortpflanzt, von einer Generation zur nächsten Generation. Es gäbe Möglichkeiten dieses Muster zu durchbrechen, aber der größte Feind der Menschheit ist die Dummheit. Das ist das größte Ãœbel und deswegen wird es immer zu menschenverachtenden Handlungen kommen. Zur Strafe: Freiheitsentzug ist im Grunde auch eine Dummheit. Natürlich ist es eine Be-Strafung. Aber die Ursache, die zu einer Straftat geführt hat, wird dadurch nachweislich nicht beseitigt und die Todesstrafe ist in keinster Weise zu akzeptieren. Bleiben therapeutische Maßnahmen. Aber das führt jetzt vom Kernthema weg und zu weit. Ich will nur damit sagen, dass es immer wieder zu Kindesmisshandlungen und Kindestötungen kommen wird, weil nicht jeder Mensch mündig ist (…denn das hat mit dem Alter nichts zu tun)

  14. @ Patrizia: Machst du es dir jetzt nicht zu einfach? Wieso sollen Menschen, die keine gesicherte Basis haben, keine Kinder bekommen! Da dürften ja halbe Kontinente kinderlos bleiben? Ein ganz klein wenig hat das auch einen ganz miesen Beigeschmack: Wer bestimmt denn, wer Kinder kriegen darf und wer nicht???

    Übrigens: Eltern, die total arm sind, können bessere Eltern sein als reiche mit einer total sicheren Existenz.

    Ich finde auch, das was Creezy sagt, zu einem gewissen ANteil zu einfach gestrickt. Wenn alles so klar wäre, gäbe es wohl viel weniger Kriege und Zwistigkeiten. Die Schuldfrage, das Opfer-Täter-Verhältnis, all das sind leider sehr komplizierte Dinge.

    Da fällt mir der Film »Das weiße Band« ein…
    Na ja, ich hör jetzt auf. Allen ein schönes Wochenende!

  15. Ich habe keine »gesicherte Basis« und keine abgeschlossene Ausbildung und zu meinem Kummer keine Kinder, und wenn ich lese, daß letzteres als richtig und gut gesehen wird, weil ersteres so ist, wie es ist, kriege ich die Wut. Ich nehme zurück, was ich über vernünftige Äußerungen in diesem Zusammenhang gesagt habe.
    Ich würde niemals ein Kind schütteln. Aber bei manchen Erwachsenen juckts mich schon in den Fingern, und damit meine ich jetzt gerade nicht den Täter.

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