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Robert Enke … und die Folgen?

Schwere Depressionen haben Robert Enke in den Tod getrieben. Viele sind schockiert, gerade weil es ihm offenbar bis zum Ende gelungen ist, diese Erkrankung zu verbergen. Jedes Jahr begehen in Deutschland rund 9000 Menschen mit Depressionen Selbstmord. Viele Zeitungen haben nun Basis-Informationen zum Thema Depressionen veröffentlicht. Das ist gut, weil Aufklärung immer gut ist aber wichtiger wäre, dass sich etwas in den Köpfen der Menschen ändert.

Jeder, der mit Depressionen zu kämpfen hat, kennt die Angst, die auch Robert Enke fest im Griff hatte. Die Angst, andere könnten mitbekommen, dass man mit Depressionen kämpft. Wer irgendwie die Kraft dazu mobilisieren kann, möglichst »gesund« bzw. »normal« zu wirken, aktiviert diese Kraft. Denn in unserer Gesellschaft wird nicht gut reagiert auf Menschen, die an Depressionen leiden. Das liegt unter anderem auch daran, dass viele die Vorstellung haben, so jemand brauche nur eine Therapie machen oder entsprechende Medikamente einwerfen und innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ist die Depression verschwunden. Das ist aber eher selten der Fall und selbst wenn es bei einzelnen Patienten so glücklich läuft, ist die Rückfallquote enorm hoch.

Wer mit Depressionen zu kämpfen hat, dem geht es häufig ähnlich wie vielen Menschen, die an irgendwelchen schweren chronischen Erkrankungen leiden. Die Langzeitbegleitung, die in solchen Fällen dringend nötig ist, wird nämlich meist verweigert. Menschen mit chronischen Erkrankungen vereinsamen häufig, Freunde ziehen sich zurück, teils weil sie sich hilflos und überfordert fühlen, teils weil sie »dieses Elend« schlicht nicht ständig vor Augen haben wollen. Solange ein Depressiver noch die Kraft aufbringt, seine Erkrankung weitestgehend zu verbergen, mag noch alles gut sein aber wehe, diese Kraft läßt irgendwann nach und es entstehen Risse in der Fassade!

Offen über diese Erkrankung zu sprechen, bringt tatsächlich in unserer Gesellschaft immer noch mehr Nachteile als Hilfestellung. Welcher Arbeitgeber will schon einen Mitarbeiter, der an Depressionen leidet und jederzeit auch ausfallen kann? Sicher menschlich mag ein Arbeitgeber oder mögen die Kollegen Mitgefühl empfinden aber letztlich zählt die Produktivität, zählt die Leistung. Im gnadenlosen Existenzkampf vieler Unternehmen ist kein Platz für kranke Menschen und damit auch nicht für Menschen, die an Depressionen leiden. Also schweigen die Betroffenen, raffen die letzten Kräfte zusammen, um ihre Leistung zu bringen aber auch das bringt für sie zusätzlichen Stress, denn sie spüren, dass diese Kraft jederzeit versiegen kann und davor fürchten sie sich, denn sie wissen, was dann droht.

Und wie wird denn in der Nachbarschaft oder im Sportverein oder was weiß ich wo reagiert, wenn bekannt wird, dass jemand an schweren Depressionen leidet? Meist wird weg geschaut, verdrängt oder Pauschalurteile abgegeben. Vielleicht werden die nächsten Angehörigen bemitleidet aber ansonsten?

Keine Frage, der Umgang mit Menschen, die an Depressionen leiden, ist häufig kein Vergnügen und auch kein Spaziergang zumindest dann nicht, wenn die Betroffenen sich nicht mehr »am Riemen reißen« können oder in den tiefsten Tälern unterwegs sind und keinen Hoffnungsschimmer mehr zu sehen in der Lage sind. Aber diese Kranken sich selbst zu überlassen, ist auch keine Lösung - zumindest nicht, wenn man die Zahl der Selbstmorde (ganz zu schweigen von der Zahl der Selbstmordversuche, die viel höher ist!) senken möchte. Es reicht nicht aus, die Verantwortung allein dem medizinisches Fachpersonal zu delegieren.

Menschen mit Depressionen brauchen ein soziales Netz, in dem sie aufgefangen werden können und je mehr Menschen sich in ein solches Netz mit einbinden lassen, desto besser, weil sich dadurch die Lasten auf mehr Schultern verteilen, was auch die nächsten Angehörigen wenigstens etwas entlastet.

Robert Enke kann nicht mehr geholfen werden, ihn und alle anderen, die sich in Folge von Depressionen das Leben genommen haben, kann niemand mehr lebendig machen. Aber unter uns sind noch viele, die mit dieser Erkrankung zu kämpfen haben und wenn wir alle für sie etwas mehr Sensibilität, etwas mehr Verständnis, etwas mehr Bereitschaft zur Begleitung entwickeln würden, dann wäre schon viel gewonnen. Und dann können vielleicht ein paar Menschen mit Depressionen ihren Weg durch die tiefen Täler, die zu dieser Erkrankung gehören, hindurchgehen und müssen nicht so enden wie Robert Enke und seine Leidensgenossen und es kommt weniger zu solchen Situationen, dass wieder alle da stehen und völlig überrascht und schockiert sind, weil ein Mensch es nicht mehr ausgehalten und sich das Leben genommen hat. Mir ist klar, dass man nicht alle retten kann, aber ich bin fest davon überzeugt, einige sind zu retten, wenn sich in den Köpfen und Herzen der Menschen grundlegend etwas ändert im Umgang mit Menschen, die an Depressionen erkrankt sind.

7 Gedanken zu „Robert Enke … und die Folgen?

  1. »Menschen mit Depressionen brauchen ein soziales Netz…«

    Ja, das ist leider etwas, was zunehmend bröckelt. Ich will jetzt nicht wieder die Vokabeln Leistungs- und Spaßgesellschaft bemühen, aber wir haben ja auch hochoffiziell einen Paradigmenwechsel vollzogen: Weg von der Fürsorge hin zur Eigenverantwortung (Stichwort ICF, aber das würde jetzt zu weit führen). Grundsätzlich ist das sicher nicht verkehrt, aber in bestimmtem Kontext, wie diesem hier, durchaus bedenklich.

    Deshalb: Danke für diesen Eintrag Liisa!

  2. »so jemand brauche nur eine Therapie machen oder entsprechende Medikamente einwerfen«

    Mit dieser Haltung ist ja schon ein großer Schritt getan, nämlich das Akzeptieren von Depressionen als ernsthafte Erkrankung. Sehr häufig gibt es immer noch die Haltung, diese Menschen, würden sich »ein bisschen anstellen«, sollten sich »halt ein wenig zusammenreißen« und hätten »wohl keine echten Probleme«. Ich bin mir nicht sicher, ob ein prominenter Kranker, der daran gestorben ist, das grundsätzlich verändern wird.

    (Muss darüber schmunzeln, wer sich hier um diese Zeit in den Kommentaren begegnet…)

  3. @ pepa: Ich habe beim Schreiben des Eintrags einen Moment überlegt ob ich das Stichwort »Spaßgesellschaft« fallen lassen sollte, es aber dann gelassen, weil das schnell wieder so ausgelegt wird, als ob man anderen den Spaß nicht gönnen würde. Aber Du hast natürlich recht, dass auch die sog. »Spaßgesellschaft« ein Faktor ist, der sich erschwerend auf die Gesamtsituation depressiver Menschen auswirkt. Ãœbrigens, ich persönlich denke auch, dass ein Teil des Internets bzw. des Verhaltens, das da aus- bzw. eingeübt wird, mit dazu beiträgt, dass der Umgang mit depressiven Menschen wie überhaupt mit Kranken sich verschlechtert. Nämlich die »Mentalität«, dass man (nur mit einem Mausklick) solche Kontakte schnell loswerden kann, wenn es einem zu viel wird (siehe die sog. Communities überall im Netz wie facebook, twitter und wie sie alle heißen). Das schlägt dann wie ich beobachten konnte früher oder später leicht auch ins Leben außerhalb des Internets durch. Bei jemandem mit Problemen, schweren Erkrankungen u.ä. auszuhalten, den langen Atem zu haben, wird damit immer schwerer. Natürlich gibt es dann auch die Stimmen die darauf hinweisen, dass das Internet auch zur Aufklärung beiträgt und für die Betroffenen neue Kontakte bringt. Gerne wird dann auf Selbsthilfeforen etc. verwiesen. Das ist natürlich auch wahr aber der Knackpunkt ist eben, dass Kranke inklusive depressiver Menschen nicht nur Kontakte mit Leidensgenossen brauchen sondern auch mit gesunden, stabilen Menschen, die ihnen ganz andere Perspektiven aufzeigen und ganz anders hilfreich zur Seite stehen können.

    @ kaltmamsell - Ich bin ehrlich gesagt nicht wirklich überzeugt davon, dass mit dieser Haltung tatsächlich weitestgehend auch ein Akzeptieren der Depressionen als ernsthafter Erkankung einhergeht. Mir erschient es eher so, dass bei denen, die dieses Argument bringen häufig nur nach einer scheinbaren Lösung des Problems gegriffen wird, damit sie selbst sich nicht engagieren brauchen. Das wird verstärkt durch die Art und Weise der Berichterstattung, in der gerne verkauft wird, mit ein bisschen Therapie und den entsprechenden Medikamenten seien Depressionen heutzutage ja eigentlich kein Problem mehr. Nicht abzustreiten ist, dass die Medikamente im Vergleich zu früher natürlich besser sind aber auf breiter Front so zu tun, als ob sie in der Masse so hilfreich wirken, dass Depressionen quasi wie eine Grippe o.ä. schnell in den Griff zu bekommen und zu heilen sind, weckt einfach falsche Erwartungen und vermittelt ein falsches Bild.

    Der Tod eines prominenten Kranken wird das grundsätzlich sicher nicht verändern aber vielleicht rüttelt er zumindest ein paar Menschen auf, neu über das Thema nachzudenken und das ein oder andere in ihrer eigenen Haltung und Sichtweise zum Thema zu überdenke und vielleicht auch zu ändern und allein damit wäre schon wieder ein kleines bisschen Land gewonnen und dem ein oder anderen Betroffenen tatsächlich in der nächsten akuten Krise ein wenig geholfen.

  4. Hochleistungs Sport oder andere Bereiche z.B. Musik Branche verlangen nun mal ganz besondere Leistungen. Nicht jeder kann solche erbringen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Enke mit seinem Tod uns etwas mitteilen wollte. Vielleicht war es ein Protest gegen diese umbarherzige Leistungs Maschine. Jedes Jahr bringen sich 3 Musikstudenten in der Tschaikowsky Konservatorium aus Angst vor Konkurenz um. Das ist beinahe schon normal, obwohl es zynisch klingt.

  5. Liebe Liisa!

    »Menschen mit Depressionen brauchen ein soziales Netz…«

    Diesen Satz würde ich gerne abändern wollen in

    »Menschen brauchen ein soziales Netz…«

    Auf den ersten Blick kürzer … aber nur auf den ersten.
    Den meisten Menschen wird heute von Kindesbeinen an beigebogen, dass sie für sich und ihr Leben selbst veranwortlich sind (Eltern haften für ihre Kinder). Und wenn sie aus irgendeinem Grunde nicht zu ihrem oder zum Wohle ihres sozialen Umfelds ‘funktionieren’, dann sollten sie das umgehend abstellen, sich beim Fachmann ‘reparieren’ lassen und die Allgemeinheit nicht mit ihren Fehlern belasten.
    Ich denke, viele kennen ‘das schwarze Loch’ von innen. Aber die wenigsten können offen darüber reden, weil sie sich dann als Versager beim Management ihres Lebens outen müssen.

    Herzliche Grüße und eine gute Woche,
    Iris

  6. Liebe Iris!

    Natürlich brauchen alle Menschen ein soziales Netz, nicht nur Menschen mit Depressionen und so habe ich das auch nicht gemeint aber hier im Eintrag explizit auf Menschen mit Depressionen bezogen, weil es nun mal um dieses Thema ging.

    Die Haltung/Ansicht, jemand soll sich beim Fachmann »reparieren« lassen und die Allgemeinheit möglichst nicht mit seinen Fehlern belasten, beobachte ich tatsächlich auch zunehmend und ich fürchte, die Weichen in der Gesellschaft sind auch für die Zukunft so gestellt, dass sich daran vermutlich nicht allzu viel ändern wird.

    Herzliche Grüße und auch Dir eine gute Woche,
    Liisa

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