Politik

Das Kreuz mit dem Kreuz

Jetzt werde ich wieder allerorten aufgefordert, doch bitte schön meiner staatsbürgerlichen Verantwortung nachzukommen und am 7. Juni 2009 wählen zu gehen und mein Kreuzchen brav zu machen. Bei uns in Baden-Württemberg geht es an diesem Tag einmal um die Wahlen zum Europaparlament, zum anderen um die Kommunalwahl. So weit so gut.

Ich bin bisher in meinem Leben bis auf einmal immer wählen gegangen, allerdings zunehmend weniger freudig. Und klar würde ich gerne freudig und überzeugt wählen gehen. Kann ich aber zunehmend weniger. Da hilft es auch nicht, wenn mir gesagt wird und ich mir selber auch einzureden versuche, dass ich dankbar sein sollte, dass ich in einer Demokratie lebe, in der ich in Freiheit wählen gehen kann.

Mir stellt sich nämlich immer lauter die Frage, ob ich tatsächlich eine echte Wahl habe? Wenn sich die großen Parteien immer weiter aneinander angleichen und ich mit dem, was sie vertreten und machen nicht glücklich bin, wo ist da eine echte Wahl? Das »kleinere Übel« zu wählen, kann doch auf Dauer auch keine Lösung sein!

Und was, wenn ich den Eindruck habe, dass ich als Bürger/Wähler die Parteien eigentlich nur kurz vor der Wahl interessiere (Stichwort »Stimmvieh«), sie danach aber dann nach Gutdünken vor sich hin agieren und sich für mich einfachen schlichten Bürger nicht wirklich sichtbar Dinge verbessern?

Was soll ich halten von Politikern aller Parteien, die jetzt vollmundig die üblichen Wahlversprechen und Wahlgeschenke verteilen, von denen wir doch inzwischen wirklich alle wissen, dass sie sie gar nicht einlösen können, bzw. wir bzw. nachfolgende Generationen sie bitter werden bezahlen müssen?!

Aus Protest Parteien am ganz rechten oder ganz linken Rand zu wählen oder gar irgendwelche Splitterparteien, bei denen man im Grunde schon vorher weiß, dass sie die 5% Hürde eh nicht überspringen werden, kommt auch nicht in Frage, jedenfalls für mich nicht.

Wirklich, ich bin politisch interessiert aber es vergeht selbst mir immer mehr. Was ich sehe, sind Politiker, von denen sehr viele ihre eigene Wichtigkeit gar nicht genug betonen können, die machtgeil sind und gerne in irgendwelchen Vorständen sitzen, wo sie sich noch ein ordentliches Zubrot zu ihren ja ohnehin nicht gerade kleinen Diäten verdienen, die immer wieder in dämlichen Fernseh-Talkshows ihre Inkompetenz unter Beweis stellen und auch dafür noch abkassieren. Wenn es aber darum geht, ihre eigentliche Arbeit zu tun, dann tun sich schwarze Löcher auf, die sich gewaschen haben.

Da werden Gesetze eingebracht, die derart zusammengeschustert sind, dass es eine Schande ist und sie mindestens noch einmal überarbeitet werden müssen. Da werden Mißstände jahrelang (jahrzehntelang) nicht oder nur sehr halbherzig angepackt und und und. Und der gemeine Bürger nimmt das alles mehr oder weniger genügsam hin und trottet brav zur nächsten Wahl und ermöglicht diesen Leuten auch noch die nächste Wahlperiode.

Wie wird man eine gesamte Politiker-Clique quer durch alle Parteien los, die sich quasi »gut eingerichtet« hat und ihre Sessel eisern besetzt hält? Wenn ich mir anschaue, was da an Politikern nachwächst, wird es auch nicht wirklich besser, denn wer in diesen Parteien überhaupt eine »Karriere« machen will, der muß sich den innerparteilichen Gesetzen (den geschriebenen und ungeschriebenen) beugen und unterordnen, sonst wird er nämlich gar nichts und damit wird die nächste Politiker-Generation herangezogen, die im Grunde ähnlich agiert wie die Vorgänger auch wenn sie jünger ist und (oh Wunder) mit den neuen Medien umgehen kann.

Vollends lächerlich machen sich meiner Meinung nach auch alle (Parteien im Ganzen und Politiker im Einzelnen), die jetzt versuchen Obama und seinen Wahlkampf zu kopieren. Für wie dämlich halten die uns Bürger eigentlich? Entweder man hat Ausstrahlung, fachliches Wissen und politisches Talent sowie echte Visionen für eine lebbare Zukunft oder man hat sie nicht. Einfach nur äußere Formen zu übernehmen und zu glauben, dass gäbe irgendeinem Bürger Hoffnung auf einen echten Wandel (ich sach nur Stichwort »change«) zeugt auch nicht gerade von Kompetenz.

Und was die Europa-Wahl angeht: Klar, ist es schön, dass die europäischen Länder näher aneinander herangerückt sind aber wer von den einfachen Bürgern kapiert eigentlich noch, was da in den Parlamenten und Ausschüssen abgeht und als Gesetze für uns alle verabschiedet wird? Wir wissen ja häufig nicht mal die Namen derjenigen, die da angeblich »in unserem Namen« agieren oder könnt ihr spontan und ohne vorher zu googeln o.ä. wenigstens drei Namen von deutschen Europaabgeordneten nennen?

Bitte, bin ich hier die einzige, der es vor dem 7. Juni 2009 mittelmäßig graut und die bei allem Interesse an Politik bei dem, was sich da vor unser aller Augen abspielt, immer mehr der Politikverdrossenheit verfällt?

10 Gedanken zu „Das Kreuz mit dem Kreuz

  1. ich kann Dir in ganz vielem zustimmen.
    Ich muss allerdings, aus meiner Arbeit als Stadtplanerin sagen, dass ich da - vor allem in kleineren Gemeindegremien - auch anderes erlebe. Der Gemeinderat, also der Politiker auf Gemeindeebene macht sich durchaus Gedanken um seine Wähler. Natürlich sind das zuerst einmal die, die sich immer beschweren. Zu viele Parkplätze, zuwenig Parkplätze. Die Autos fahren zu schnell, der Müll liegt auf der Straße. Auf die reagieren sie auch in irgendeiner Weise. Aber genau diese Gemeinderäte sind auch dankbar für konstruktive Rückmeldungen.

    Natürlich weiss ich, dass Du nicht diese Ebene meinst und was da drüberhinaus geht, da sind Deine Befürchtungen durchaus die meinen…

  2. Nein, du bist nicht die einzige; mir graut’s auch vor einer Entscheidung. Noch nie in meinem ganzen Leben (du weißt, ich bin 60) bin ich NICHT zur Wahl gegangen, aber jetzt überlege ich es und weiß nicht ein noch aus. Also werde ich mich von einer Wahl zur anderen quälen. Erst mal die Europawahl. Die Kommunalwahlen, die Tine anspricht, sind eine andere Sache. Die stehen bei uns demnächst auch an, sind aber nicht weniger schwierig. Och nääää!!!!

  3. Du hast meine Gedanken sehr schön zusammen gefasst und das ist der Grund, warum ich in den letzten Jahren nicht mehr wählen war. Einen ähnlichen Artikel hatte ich im Januar diesen Jahres geschrieben: http://www.janasworld.de/2009/01/09/wahljahr/ Dabei würde ich gerne wählen gehen. Aber immer nur das kleinere Übel zu wählen, kann nicht der Sinn sein.

  4. Nichtwählen im Sinne des Nichthingehens ist keine Alternative. Um das sinnvoll zu tun, bleibt nur, hinzugehen und den Stimmzettel ungültig zu machen - etwa zwei Kreuze oder einen Kommentar anfügen. Ansonsten zählt der Nichtwähleranteil nämlich zugunsten der großen Parteien… Und Deine Probleme habe ich auch, wähle aber zumeist Parteien, die mit Sicherheit in der Opposition bleiben, aber ebenso sicher ins Parlament kommen…. LG tinius

  5. @ Tine: Ja klar! Die Politiker auf Gemeindeebene sind ja für die Bürger auch wirklich greifbar. Die kennen dann viele doch noch und die wissen auch ganz genau, dass wenn sie sich nicht kümmern, sie die längste Zeit Politiker auf Gemeindeebene gewesen sind. Wer aber erstmal im fernen Berlin oder Straßburg oder Brüssel ist, der ist der Kontrolle ja mehr oder weniger entzogen.

    @ Ingrid: So traurig das ist, aber es tröstet mich doch, dass es nicht nur mir so geht! Ich habe den Eindruck, dass tatsächlich das zunehmende Alter auch eine Rolle spielt, einfach weil man schon länger die politischen Entwicklungen mitbekommen und schon viele Wahlen (und vor allem das danach!) mitbekommen hat.

    @ Jana: Ich habe Deinen Eintrag gelesen und festgestellt, dass wir tatsächlich vieles sehr ähnlich sehen! Wie Du schreibst, immer nur das kleinere Übel zu wählen, kann nicht der Sinn sein!

    @ tinius: Oh!! Welche Ãœberraschung, Dich hier zu lesen! Das heißt, Du hast zumindest wieder einen internetfähigen Computer! :) Zu Deiner Antwort: Ich weiß noch nicht, ob ich nun diesmal zur Wahl gehen werde oder nicht aber wenn, dann werde ich mit Sicherheit nicht glücklich dabei sein. Den Stimmzettel ungültig zu machen, wie von Dir vorgeschlagen, ist natürlich auch eine Option aber letztlich »lügt« man sich damit ja auch in die Tasche, denn ich bin sicher, dass diese Wahlzettel einfach nur ausgesondert und dann vernichtet werden und niemand sich die Mühe machen würde einen evtl. Kommentar zu lesen! Ich könnte halt nur sagen: Toll, ich bin wählen gewesen und bin meiner Bürgerpflicht nachgekommen. Die Parteien würde sowas nur jucken, wenn ein großer Prozentsatz der Wähler so verfahren würde.

  6. Ich habe jetzt zwei internetfähige Computer - ein subventioniertes Netbook und den endlich reparierten PC. Da es ein halbes Jahr gedauert hat, bis sich jemand meiner annahm, sah ich es für notwendig an, mich, von Freundschaftsdiensten unabhängig zu machen. :( Bloggen werde ich allerdings nicht mehr…..
    Die Kommentare werden natürlich nicht gelesen, aber ein Ungültigmachen des Stimmzettels zählt eben nicht zugunsten einer Partei, sondern nur als ungültig, während reine Nichtwähler den Prozentsatz zugunsten der großen Parteien verschieben. Nach der Stimmauszählung nämlich werden die Stimmen der aktiven Wähler als 100 % angesehen, auch wenn nur etwas über die Hälfte der wahlberechtigten Bürger gewählt haben, und danach das prozentuale Stimmverhältnis für die Mandate gerechnet. siehe hier LG tinius

  7. den stimmzettel ungültig machen ist noch immer die bessere option als gar nicht erst zur wahl zu gehen und damit indirekt den prozentanteil der stimmen richtung radikaler parteien zu verschieben.

    ich wurde in einem land geboren, in dem es die wahl zur wahl zu gehen nicht gab. und damit soetwas nicht mehr in deutschland passieren kann, gehe ich hin. egal ob ich jetzt meinen zettel zum papierflieger umgestalte oder ein kreuzchen in ein kästchen setze. als demokrat habe ich meinem land gegenüber auch pflichten wahrzunehmen. es sind so schon nicht viele. da ist ein kreuzchen nicht zu viel verlangt.

  8. Danke tinius und rita für Eure Erläuterungen zum Thema Stimmzettel ungültig machen. Ich werde auf jeden Fall zur Wahl gehen und entweder ich habe mich bis dahin doch durchgerungen einer bestimmten Partei meine Stimme zu geben (nach dem Motto »das kleinere Ãœbel« oder ich greife eben zur von Euch beschriebenen Methode. Die Idee mit dem Papierflieger basteln finde ich ganz lustig. Vor allem, wenn ich dann versuche, den Papierflieger in der Wahlurne landen zu lassen! Das bringt auch für die Wahlhelfer etwas Spaß! ;o))

  9. ein freund von mir hat sich schon mal überlegt, die partei der nichtwähler zu gründen, für genau diese fälle. diese partei, würde sich zur wahl stellen, aber dann hinterher nichts machen. sie würden sich zum beispiel als bürgermeister bewerben, aber versprechen, die wahl hinterher nicht anzunehmen. es wäre eine reine protest-partei mit der einzigen aussage: wir sind unglücklich, wie das mit der wahl gerade läuft. und durch das wählen der nicht-wählerpartei würden die stimmen dennoch gezählt werden und somit wäre dokumentiert, wieviele leute die aktuellen parteien eben nicht wollen.
    ist zwar nur ein gedankenspiel, zeigt aber, dass sich noch mehr leute überlegen, wie kann ich ein zeichen setzen, dass ich nicht zufrieden bin.

    letztlich werde ich auch wählen gehen, gerade weil ich es immer noch wichtig finde. aber auch nur mit grummeln und bauchweh.

  10. Eine interessante Idee, die Dein Freund da hatte, Tine! Wäre ja wirklich mal interessant wie hoch der Prozentsatz wäre, den diese Partei auf Anhieb erringen würde!

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